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Konrad Adam, Grußwort zum 9. Juni 2023

Sie haben sich, um des 30. Todestages Ihres Namenspatrons zu gedenken, in die Lausitz begeben, die Heimat Herbert Gruhls. Das war ein guter Einfall, weil sein Lebensthema, die Liebe zur Natur, ihren Ursprung auf heimatlichem Boden hat. Bewahren will man ja nur das, was man liebt, und lieben kann man nur das, was man kennt, das Nahe und Vertraute also, mit einem Wort: die Heimat. Gruhl wusste, dass der Wille, Freundschaft mit der Natur halten, nicht auf abstrakten Theorien beruht, sondern auf Erfahrung und Anschauung. Er kannte seinen Goethe, der gemeint hatte, Denken sei zwar interessanter als Wissen, aber nicht, wie er hinzufügte, „aber nicht als Anschauen“.
 
Der Fortschritt – oder das, was man so nennt – hat uns über diese Stufe hinausgeführt. Er hat uns daran gewöhnt, den Abstraktionen und Extrapolationen mehr zu vertrauen als der sinnlich vermittelten Erfahrung, und neben der ersten eine zweite, eine Pseudo-Wirklichkeit entstehen lassen, die ohne Beteiligung der Gefühle auszukommen glaubt. Wer vom Fortschritt träumt und immer mehr davon will, betrachtet die Natur wenn schon nicht als Feind, so doch als mangelhaft und sucht das Vorgefundene durch irgendwelche Kunstprodukte zu überbieten. An Stelle der natürlichen Geburt, des natürlichen Geschlechts, der natürlichen Intelligenz bevorzugt er das technisch vermittelte Surrogat.
 
Ungeachtet aller Versuche, ihn zu verbessern oder, wie der hybride Ausdruck lautet, in Wert zu setzen, ist und bleibt der Mensch aber doch ein Naturwesen. Weshalb sich alle gegen die äußere Natur gerichteten Angriffe notwendigerweise auch gegen den Menschen selbst richten. Die Zwangsmaßnahmen, die unter dem fadenscheinigen Begriff der Wende durchexerziert worden sind und immer noch werden – Klimawende, Verkehrswende, Heizungswende usw. - illustrieren das zur Genüge. Sie setzen durchweg auf Kontrolle und Verbot, auf Drohungen und Strafe und sind schon deshalb menschenfeindlich - jedenfalls dann, wenn man die Freiheit als konstitutives Merkmal des Menschen betrachtet.
 
Freiheit bedeutet Unabhängigkeit: Unabhängigkeit von all den tausend Dingen, die für nutzlos, überflüssig wo nicht gar gefährlich galten, bevor sie uns von einer florierenden Werbeindustrie als unentbehrliche Begleiter des zeitgemäßen Lebens aufgeschwatzt worden sind. Wenn wir den Wortführern der öffentlichen Debatte glauben wollen, dann wird es auch so weitergehen. Wachstum heißt ihre Parole, und wie zum Hohn hat die Ampelkoalition an eben dem Tag, an dem auf Druck der Grünen die letzten Atommeiler abgeschaltet worden sind, die kümmerlichen Sparmaßnahmen, zu denen sie sich unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges bereitgefunden hatte, demonstrativ auslaufen lassen. Prasst, soll das heißen, konsumiert und denkt nicht an morgen.
 
Gruhl war seiner Zeit voraus, um noch viel mehr als 30 Jahre. Jetzt fehlt er uns. Er fehlt vor allem deshalb, weil er darauf verzichtet hatte, seine Botschaft in Formen vorzutragen, die abschreckend auf alle wirken müssen, die den Inhalt der Botschaft ernst nehmen. Er war ein Aktivist, ein Aktivist des Wortes freilich, nicht des Spektakels oder des Klamauks. Trotz aller widrigen Erfahrung setzte er aufs Argument, dem der immer noch mehr zutraute als Straßenschlachten unter dem Einsatz von Klebstoff, Megaphon und Regenbogenfahnen. Die Herbert-Gruhl-Gesellschaft hält sich an sein Vermächtnis, und das ist gut so. Ich wünsche ihr Beharrlichkeit, Glück und Erfolg.